Der Bundesvorsitzende des BDR Wolfgang Lämmer konnte dazu zahlreiche Gäste aus der Politik, der Bundes- und Landesjustiz, den Justizgewerkschaften und -verbänden sowie Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger aus der gesamten Bundesrepublik begrüßen. Für den VRB nahmen der Vorsitzende Matthias Stolp, die Geschäftsführerin Diana Böttger sowie die Beauftragten des VRB Kai-Uwe Menge und Heinrich Hellstab teil.
Das „Gesetz zur Förderung des elektronischen Rechtsverkehrs mit den Gerichten“ vom 16. Oktober 2013 verpflichtet die Justiz, die elektronische Kommunikation mit Rechtsanwälten, Notaren und Behörden bis zum 1. Januar 2018 für alle Verfahrensbereiche zu ermöglichen und bis zum 1. Januar 2022 soweit auszubauen, dass die elektronische Kommunikation für diese Beteiligten den Papierweg vollständig ersetzt. Die Justizverwaltungen müssen also die Voraussetzungen zur Entgegennahme, Verarbeitung und Versendung elektronischer Dokumente sowie der Führung elektronischer Akten in allen Gerichtsbarkeiten schaffen. Dabei sind Strafverfahren zunächst ausgenommen, für die ein eigenes Gesetz in Vorbereitung ist.
In der Podiumsdiskussion beleuchteten Dr. Karl-Heinz Brunner, MdB (SPD), Prof. Dr. Ekkehard Becker-Eberhard, Universität Leipzig, Ministerialdirigent Klaus Ehmann, Justizministerium Baden-Württemberg, Martin Wenning-Morgenthaler, Sprecher des Bundesvorstands der Neuen Richtervereinigung, und Wolfgang Lämmer, Bundesvorsitzender des BDR, das Leitthema der Veranstaltung. Moderator war Prof. Ulrich Keller, HWR Berlin.
Es bestand die übereinstimmende Meinung, dass das „E-Justice-Gesetz“ große Chancen bietet, die Justiz der gesellschaftlichen Realität anzupassen und durch Optimierung von Arbeitsprozessen die Qualität des Rechtssystems in Deutschland weiter zu verbessern.
Aber auch die damit verbundenen Risiken und die insbesondere mit der Umsetzung einhergehenden Probleme wurden fachlich fundiert erörtert:
So wies Martin Wenning-Morgenthaler nicht nur auf die Kosten (z. B. für erforderliche Umbau- oder Schulungsmaßnahmen) hin, sondern warnte zudem, dass EDV auch gewisse Abhängigkeiten erzeugen könne, wie gerade das Beispiel juristischer Online-Datenbanken zeige, wenn Monopolisten in diesem Segment ihre Marktstellung missbrauchten, um Preissteigerungen bei den Kunden durchzusetzen.
Angesichts der allgemeinen Personalknappheit in der Justiz wurde zudem Skepsis hinsichtlich des ehrgeizigen Zeitplans zur Umsetzung des Gesetzes geäußert. Klaus Ehmann machte jedoch deutlich, dass das Land Baden-Württemberg alles für eine Umsetzung zum frühestmöglichen Zeitpunkt tun werde, da die damit einhergehende Standardisierung und Strukturierung zu Erleichterungen in den Arbeitsabläufen führen würden.
Die Diskussionsteilnehmer waren sich allerdings einig, dass die „Elektrifizierung“ bzw. „Elektronifizierung“ der Gerichte unter keinen Umständen zu einer „maschinellen“ Entscheidung führen dürfe. Prof. Dr. Becker-Eberhard machte dies mit den Worten „Es braucht den abwägenden Menschen!“ ganz deutlich. Dr. Brunner stellte daneben fest, dass für ihn eine wertende Entscheidung mit Gestaltungsspielraum nur von sachlich unabhängigen Personen, somit von Richtern und Rechtspflegern getroffen werden könne.
Kontrovers diskutiert wurde die Frage der künftigen Verwendung des durch die Rationalisierung von Arbeitsabläufen frei werdenden Personals. „Durch die zunehmend erforderliche IT-Betreuung, IT-Entwicklung und IT-Organisation werden auch neue Aufgaben in der Justiz entstehen“, stellte Wolfgang Lämmer fest. Zudem erörterten die Teilnehmer in diesem Zusammenhang mögliche Zuständigkeitsübertragungen vom Richter auf den Rechtspfleger, sowie vom Rechtspfleger auf den Urkundsbeamten.
Im Weiteren brachte Lämmer einen wichtigen Aspekt aufgrund der bei der elektronischen Verarbeitung von Justizdaten in Nordrhein-Westfalen bereits gesammelten Erfahrungen in die Diskussion ein: „Bei allen Modernisierungsbemühungen muss das verfassungsrechtlich garantierte Prinzip der Gewaltenteilung – hier im Besonderen die Trennung von Judikative und Exekutive – gewahrt bleiben. Vor diesem Hintergrund wird man Überlegungen, Daten der Judikative in von der Exekutive betriebenen Rechenzentren speichern und verarbeiten zu lassen, eine Absage erteilen müssen.“
Prof. Dr. Becker-Eberhard mahnte zudem, bei jeder einzelnen Maßnahme zur Umsetzung des E-Justice-Gesetzes darauf zu achten, dass es nicht zu einem unzulässigen Eingriff in die Unabhängigkeit der Richter und Rechtspfleger komme.
Fazit aus Sicht des VRB: Die Festlegung von verbindlichen Zeitpunkten für die Aufnahme des obligatorischen elektronischen Rechtsverkehrs führt dazu, dass in Bund und Ländern nunmehr in nahezu allen justiziellen Bereichen die organisatorischen und auch die technischen Grundlagen in Angriff zu nehmen sind. Die Länder werden dazu voraussichtlich unterschiedliche Einführungsstrategien verfolgen, der ständige Informationsaustausch der Justizgewerkschaften und -verbände, vor allem auf Landesverbandsebene, ist daher wichtig. Aufgabe der Gewerkschaften ist darüber hinaus die konstruktive Begleitung der jeweiligen Entwicklungs- und Einführungsstadien, weil sonst die Chance zur Mitgestaltung vergeben wird. Insbesondere sollten sachverständige Kolleginnen und Kollegen einbezogen werden, damit für die Umsetzungsphase möglichst viele praxisnahe Überlegungen einfließen können. Weiterhin sollten die Gewerkschaften dazu beitragen, dass Hemmnisse gegenüber der neuen Technologie abgebaut werden und sich dafür einsetzen, dass die Bediensteten vor Ort durch gut ausgebildete Multiplikatoren unterstützt werden.
Bild Einkommenstabellen: Thorben Wengert / pixelio.de
Bild dbb SPEZIAL zum Coronavirus: Christian Daum / pixelio.de