Europaskepsis ist weit verbreitet. Das sind nicht nur irgendwelche Stimmungen. Das sind meist fest sitzende Urteile und Vorurteile, die sich konkret in geringer Wahlbeteiligung niederschlagen. Es ist richtig, die Beteiligung an den Wahlen zum Europäischen Parlament ist seit den ersten Direktwahlen 1979 kontinuierlich zurückgegangen.
Geringe Wahlbeteiligung ist ein Problem für die Demokratie. Das Desinteresse an Wahlen ist aber nicht auf die Europawahl beschränkt. Rückläufig – und hierzulande inzwischen auf Tiefpunkte unter 40 Prozent gesunken – ist auch die Beteiligung an Kommunalwahlen. In anderen EU-Staaten, vor allem in mittel- und osteuropäischen Ländern, ist auch die Teilnahme der Bürger an den nationalen Parlaments- oder Präsidentschaftswahlen gering. Vor allem das oft vorgetragene Argument, Europa sei zu weit weg von den Menschen, kann das Phänomen nicht überzeugend erklären. Zumindest kann es kaum dafür herhalten, die geringe und teilweise noch viel geringere Beteiligung an Kommunalwahlen zu begründen. Welche Politikebene sollte den Wählern näher sein als die kommunale?
Die Europäische Union ist die überstaatliche Ebene, um die uns Europäer viele Menschen in der Welt beneiden. Hier gibt es institutionalisierte Zusammenarbeit, die wie keine andere europäische Ordnung zuvor Frieden, Stabilität und Wohlstand gesichert hat. Seit 1979 können die Bürger dieser in der Welt nach wie vor einzigartigen Gemeinschaft, dieses groß angelegten Versuchs einer supranationalen Friedens-, Freiheits- und Wohlstandsordnung, auch auf europäischer Ebene mitbestimmen. Das Europäische Parlament, dem anfangs nur ein Anhörungsrecht ohne bindende Wirkung zuteil war, steht heute auf Augenhöhe mit der Staatenkammer, dem Rat der Europäischen Union. Seine Zusammensetzung mitentscheiden zu können, ist nicht nur ein symbolisches Privileg. Es ist notwendige Voraussetzung für die demokratische Legitimation europäischer Politik.
Die europäische Politikebene tritt nicht an die Stelle der nationalen. Sie ergänzt sie. Sie bietet ein Mehr an Souveränität durch die Bündelung von Souveränität. Dies als Souveränitätsverzicht zu interpretieren, ist kurzsichtig im Zeitalter der Globalisierung. Zu unserer Freiheit gehört, dass wir mitbestimmen können auf allen staatlichen – und auch der überstaatlichen, europäischen Ebene. Lokal, regional, national und europäisch. Wir sollten dieses Recht nutzen.
Partizipation – in Wahlen, aber auch in bürgerschaftlichen Organisationen – und eine diese Teilhabe ermöglichende funktionierende öffentliche Infrastruktur sind der Boden, auf dem eine friedliche, freiheitliche Ordnung gedeiht.
Dass der europäische Gesetzgeber vieles entscheidet, was trotz prinzipieller nationaler Zuständigkeit auch für den öffentlichen Dienst wichtig ist, ist jenseits aller staatsbürgerlichen und europäischen Bürgerpflichten Grund genug auch für den dbb zu sagen: Da müssen wir mittun. Da ist es wichtig, dass unsere Mitglieder mitentscheiden, dass sie von ihren Freiheitsrechten auch in Europa aktiv Gebrauch machen. Europäischer Arbeitsschutz, europäisches Binnenmarkt- und Wettbewerbsrecht, öffentliches Vergaberecht, Antidiskriminierungsrecht – in vielen die Arbeitsbedingungen unserer Mitglieder beeinflussenden Fragen entscheidet Europa mit.
Deshalb rufe ich unsere Mitglieder auf, zur Wahl zu gehen, wenn es heißt: „Europa wählen!“ Denn zu wählen lohnt. Immer. Und besonders auch am 25. Mai – in Europa.
Klaus Dauderstädt,
dbb Bundesvorsitzender
Der Verein der Rechtspfleger im Bundesdienst (VRB) unterstützt den Wahlaufruf Dauderstädts: „Europa steckt noch mitten in der Bewältigung der schwersten Wirtschafts- und Finanzkrise, vieles musste in Frage gestellt werden. Die Europawahl ist damit auch eine Wahl über den künftigen Kurs der Europäischen Union und somit die bislang wichtigste Europawahl überhaupt.
Die Europawahl erlaubt den Wählerinnen und Wählern darüber abzustimmen, wie die Europäische Union gestaltet werden soll und wie die wirtschaftliche und politische Integration verlaufen soll.
Die Europawahl 2014 ist zudem die erste Europawahl nach dem Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon. Dieser Vertrag hat dem Europäischen Parlament deutlich mehr Macht und Einfluss gegeben, es bestimmt über Gesetze mit, die in allen 28 Mitgliedsstaaten gelten und entscheidet über alle internationalen Abkommen sowie über den Haushalt der Europäischen Union mit“, so der VRB-Vorsitzende Matthias Stolp.
Bild Einkommenstabellen: Thorben Wengert / pixelio.de
Bild dbb SPEZIAL zum Coronavirus: Christian Daum / pixelio.de