Im zu entscheidenden Fall ging es um eine Mutter, die für ihren Arbeitgeber im Homeoffice tätig war. Als sie im November 2013 ihr Haus verließ, um ihre Tochter mit dem Fahrrad zum Kindergarten zu bringen, stürzte sie auf dem Rückweg und brach sich den rechten Ellenbogen. Die Krankenkasse kam für die Behandlungskosten i.H.v. rd. 19.000 € auf. Die Krankenkasse machte gegenüber der Verwaltungs-Berufsgenossenschaft einen Erstattungsanspruch geltend, da es sich nach Ansicht der Krankenkasse um einen Wegeunfall gehandelt habe.
Nach dem Gesetz ist grundsätzlich nur der unmittelbare Arbeitsweg bei Unfällen versichert. Nach der ständigen Rechtsprechung beginnt der, sobald das eigene Zuhause verlassen wird, um direkt zur Arbeit zu gelangen („Außentürprinzip“). 1971 hatte der Gesetzgeber jedoch eine Ausnahme festgelegt. Danach standen Beschäftigte auch dann unter dem gesetzlichen Unfallschutz, wenn sie einen Umweg machten, um ihr Kind in den Kindergarten oder eine andere Betreuungsstelle zu bringen. Dies, so die klagende Krankenkasse, müsse auch für Homeoffice-Beschäftigte für den Weg zum Kindergarten gelten.
Das Bundessozialgericht entschied nunmehr, dass der Unfall der Mutter unter keinem denkbaren Gesichtspunkt ein versicherter Arbeitsunfall gewesen sei. Der Unfall sei zunächst nicht auf einen versicherten Betriebsweg erlitten worden, weil das Verbringen des Kindes in den Kindergarten weder in Ausübung der versicherten Tätigkeit erfolgte, noch dem Beschäftigungsunternehmen diente. Ebenso wenig habe es sich um einen versicherten Wegeunfall i. S. d. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII gehandelt, der zunächst begriffsnotwendigerweise voraussetze, dass der Ort des privaten Aufenthaltes und der versicherten Tätigkeit, zwischen denen der Weg zurückgelegt wird, räumlich auseinanderfallen. Dies sei bei der Tätigkeit im Homeoffice naturgemäß nicht der Fall. Auch die Regelung des § 8 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a) SGB VII aus dem Jahr 1971 sei abschließend, so das Gericht, und umfasse nicht den Weg vom Homeoffice zum Kindergarten und zurück. Vielmehr setze die Regelung ein Abweichen von einem versicherten Weg voraus, zu dem Zweck, sein Kind in fremde Obhut zu geben. Ein versicherter Weg sei aber im vorliegenden Fall gerade nicht gegeben.
Das Gericht wies zugleich ausdrücklich darauf hin, dass eine Erweiterung des Versicherungsschutzes dem sozialpolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers obliege.
Der dbb beamtenbund und tarifunion fordert seit langem, die Schutznorm im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung zu erweitern. Die derzeit bestehende Rechtslage von 1971 wird den Entwicklungen des Berufslebens nicht mehr gerecht und muss den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst werden. Der Gesetzgeber muss dafür Sorge tragen, dass Beschäftigte, die im Homeoffice arbeiten und von ihrem häuslichen Arbeitsplatz aus Kinder zum Kindergarten bringen oder von dort abholen, unfallversichert sind. Die Interessenlage von Beschäftigten mit auswärtigem Arbeitsplatz und solchen mit Homeoffice ist diesbezüglich auch vergleichbar. Soweit für ein Kind des Beschäftigten ein Betreuungsbedarf besteht, um die berufliche Tätigkeit zu ermöglichen, besteht gleichermaßen ein betriebliches Interesse des Arbeitgebers an der Unterbringung des Kindes und somit ein Zusammenhang mit der beruflichen Tätigkeit.
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