„Es kann doch nicht sein, dass wir im 21. Jahrhundert in einen Koalitionsvertrag schreiben müssen, dass die Bundesregierung im öffentlichen Dienst die Teilhabe von Frauen und Männern in Führungspositionen bis 2025 umsetzen will“, rügte der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach bei der Frauenpolitischen Fachtagung der dbb frauen am 3. Juni 2019 in Berlin. Zudem sei dieses Vorhaben angesichts der „erheblichen Defizite bei der Besetzung von Leitungspositionen mit weiblichen Führungskräften ein durchaus ambitioniertes Ziel“. Silberbachs Appell: „Da geht definitiv noch mehr in Sachen Geschlechtergerechtigkeit!“ Auch die Gewerkschaften nahm der dbb Chef bei diesem Thema selbstkritisch ins Visier: „Starke Gewerkschaften sind ein Glück für die Demokratie mit ihrem Gestaltungswillen und ihrer Durchsetzungsstärke. Damit wir das auch in Zukunft sind und wirklich die Interessen aller unserer Mitglieder vertreten, sage ich ganz klar: Wir brauchen mehr Kolleginnen. Auch dieses Ziel steht auf unserer Agenda für den gewerkschaftlichen Nachwuchs ganz oben“, machte Silberbach deutlich, hier seien der dbb und seine Mitgliedsorganisationen allesamt gefordert.
Mit Blick auf den digitalen Transformationsprozess warb Silberbach für die Chancen, die neue flexible Arbeitsformen auch für Frauen eröffneten, und sprach sich für mehr Experimentierfreude und Fehlertoleranz aus: „Neue Formen der Zusammenarbeit, die vielleicht weniger von Hierarchien geprägt sind, müssen einfach mal ausprobiert werden. Was spricht dagegen, ein großzügiges Angebot an mobilem Arbeiten auszuprobieren, sich auf Präsenztage zu verständigen, Führungspositionen in Teilzeit zu ermöglichen? Am Ende kann gemeinsam beurteilt werden, welcher Arbeitsprozess für welche Behörde sinnvoll erscheint. Dies wäre ein Weg, alle Beschäftigten, Vollzeit oder Teilzeit, jung oder alt, und insbesondere auch die Frauen auf einem Weg der Veränderung zum Positiven mitzunehmen“, so der dbb Chef – „immer Seite an Seite mit den Beschäftigtenvertretungen, die darauf achten, dass sich alles im Rahmen der essentiellen Leitplanken bewegt und nicht zu Lasten der Gesundheit und der Rechte der Kolleginnen und Kolleginnen geht.“
Helene Wildfeuer, Vorsitzende der dbb bundesfrauenvertretung und Gastgeberin der Frauenpolitischen Fachtagung, warnte vor der zunehmenden Erosion der Gleichstellungsziele in Deutschland: „Der unvollständige Status quo steht auf der Kippe. Zum ersten Mal seit 1949 ist der Frauenanteil im Bundestag rückläufig, immer häufiger fahren rechtspopulistische Kräfte Kampagnen gegen staatliche Maßnahmen zur Förderung der Gleichstellung von Frauen. Das ist verfassungsfeindlich und zutiefst undemokratisch, so Wildfeuer. „Wer den Gleichstellungsgrundsatz angreift, stellt unsere demokratischen Grundwerte in Frage und verletzt ein Menschenrecht. Die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau herzustellen, ist ein zentraler Verfassungsauftrag für uns alle, insbesondere richtet er sich an die Bundesregierung und alle weiteren politischen Akteurinnen und Akteure, an die öffentlichen Verwaltungen, an die öffentlich-rechtlichen Institutionen und auch an die Gewerkschaften“, betonte Wildfeuer. Auch der gleichberechtigte Zugang zu finanziellen Ressourcen müsse stärker in den Blick genommen werden. „Aus unserer Sicht sind gendersensible Haushalte dringend geboten, um die gleiche Teilhabe von Männern und Frauen am öffentlichen Leben zu verwirklichen. Gleichstellung kann und muss gezielt über den kontrollierten Einsatz von Steuermitteln gesteuert werden. Deshalb müssen wir auch über steuer- und arbeitsmarktpolitische Fehlanreize sprechen, die das Ehegattensplitting und die Lohnsteuerklassenkombination III/V setzen“, verlangte Wildfeuer.
Die 15. Frauenpolitische Fachtagung der dbb bundesfrauenvertretung fragt am 3. Juni 2019 in Berlin, wie es 100 Jahre nach der Einführung des Wahlrechts und 70 Jahren Grundgesetz in Sachen Gleichstellung von Frauen und Männern tatsächlich aussieht. Denn so viel ist bekannt: Noch immer verdienen Frauen im Schnitt 21 Prozent weniger als Männer, im Ruhestand müssen sie mit weniger als der Hälfte an Renteneinkünften auskommen, und auch die politische und wirtschaftliche Macht liegt, auch im öffentlichen Dienst, noch immer überwiegend in den Händen von Männern. Gemeinsam mit Rechtsexpertinnen und Gleichstellungsanwältinnen legen die dbb frauen die Lücken der gesetzlichen Gleichstellung offen und diskutieren Lösungsangebote und neue Möglichkeiten für eine „Balance of Power" der Geschlechter im positiven Sinne – vor Ort und in den sozialen Medien unter #Geschlechtergerechtigkeit #FFT2019.
Bild Einkommenstabellen: Thorben Wengert / pixelio.de
Bild dbb SPEZIAL zum Coronavirus: Christian Daum / pixelio.de