dbb Jahrestagung 2018

Silberbach: Deutschland muss digitale Kleinstaaterei beenden

dbb Jahrestagung 2018
Foto: Friedhelm Windmüller
Die VRB-Vorsitzenden Diana Böttger und Matthias Stolp mit dem dbb Bundesvorsitzenden Ulrich Silberbach (Mitte)
Vom 7. bis 9. Januar 2018 fand in Köln die 59. dbb Jahrestagung unter dem Motto „Deutschland hat gewählt – Was nun?“ statt. Rund 800 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Medien befassten sich mit den Erwartungen des öffentlichen Dienstes an die neue Legislaturperiode. Darüber hinaus diskutierten sie die Auswirkungen der Digitalisierung für die öffentliche Verwaltung und ihre Beschäftigten. Für den VRB nahmen die Vorsitzenden Diana Böttger und Matthias Stolp an der Tagung teil.

Der dbb Bundesvorsitzende Ulrich Silberbach rief mit Blick auf die Modernisierung des öffentlichen Dienstes die Politik zu einem Pakt für Digitalisierung auf. „Für eine wirklich sichere, ganzheitliche  digitale Strategie muss es ein Zusammenspiel von Bund, Ländern und Gemeinden geben“, sagte Silberbach in seiner Grundsatzrede. „Derzeit hängt Deutschland im Zeitalter der digitalen Kleinstaaterei fest. Das widerspricht dem Gedanken der Vernetzung. Es gibt zwar vielversprechende regionale IT-Initiativen, aber eben keinen verbindlichen nationalen Masterplan.“ Dabei gehe es nicht nur um grundlegende technische Notwendigkeiten wie den Breitbandausbau, sondern um eine seriöse Planung des personellen, organisatorischen und finanziellen Aufwandes.

„Gerade in der kritischen Umstellungsphase auf digitalisierte Prozesse steigt die ohnehin hohe Arbeitsbelastung, daher ist eher mehr als weniger Personal erforderlich. Zudem müssen die Beschäftigten entsprechend qualifiziert werden“, erklärte Silberbach. Für Fortbildungen gebe die öffentliche Hand allerdings nur ein bis drei Prozent des Personalbudgets aus, in der Privatwirtschaft sei es das Drei- bis Vierfache. „Ohne die Erfahrung der Praktiker kann die Digitalisierung aber nicht gelingen. Wir gehen daher von einem mittelfristigen Investitionsbedarf für Hard- und Software sowie Qualifizierung im zweistelligen Milliardenbereich aus“, so der dbb Chef.

Bei der Digitalisierung staatlicher Dienstleistungen, mahnte der dbb Bundesvorsitzende, müssten auch die veränderten Arbeitsbedingungen berücksichtigt werden. Wenn Arbeit immer und überall verfügbar sei, ermögliche das viele Freiheiten, um sie beispielsweise familienfreundlicher zu gestalten. „Das birgt aber auch die Gefahr der Entgrenzung, der mangelnden Trennung von Arbeit und Privatleben“, warnte Silberbach. „Deshalb müssen Personal- und Betriebsräte über die Einhaltung adäquater Spielregeln wachen können. Auch dabei ist die Politik gefordert, etwa durch die grundlegende Modernisierung der Mitbestimmung im öffentlichen Dienst.“

Vor dem Hintergrund der langwierigen Regierungsbildung auf Bundesebene betonte Silberbach in seiner Rede zudem erneut die Bedeutung der Verwaltung: „Der öffentliche Dienst ist die unverrückbare Konstante eines Staates, verlässlich, korrekt und engagiert.“ Doch dessen Funktionsfähigkeit sei zunehmend gefährdet. „Die Menschen warten monatelang auf einen Termin beim Bürger- oder Standesamt. Eltern finden keinen Kita-Platz für ihre Kinder. Straßen werden nicht gebaut, weil Ingenieure fehlen. Die Justiz muss Verfahren wegen Personalmangel einstellen. Da ist Gefahr im Verzug“, mahnte der dbb Bundevorsitzende. Diese Fälle zeigten auch, dass nicht alle Probleme mit moderner IT gelöst werden könnten, sondern angemessene Personalausstattung und gute Arbeitsbedingungen immer noch die Basis für staatliche Ordnung seien. Silberbach: „Es kommt im öffentlichen Dienst auf den Menschen an. Das war so, ist so und das wird auch so bleiben.“

Mit Blick auf die in diesem Jahr anstehende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu mehreren Klagen gegen das Streikverbot für Beamte erhielt der dbb Unterstützung für seine Position vom Bundesinnenministerium (BMI). Das Streikverbot gehöre zu den hergebrachten Grundsätzen des Berufsbeamtentums und genieße damit Verfassungsrang betonte BMI-Staatssekretär Hans-Georg Engelke. Würde es aufgehoben, verlöre das Beamtentum „seine innere Logik und damit seine Sinnhaftigkeit“. Engelke sprach als Vertretung für Bundesinnenminister Thomas de Maizière, der wegen der Sondierungsgespräche zur Regierungsbildung in Berlin unabkömmlich war.

„Die Bürgerinnen und Bürger vertrauen darauf, dass der Staat rund um die Uhr handlungsfähig ist“, so Engelke weiter. Und das könnten sie auch, trotz der im Hinblick auf die Regierungsbildung bislang noch offenen Lage auf Bundesebene. „Das Land ist stabil“, stellte Engelke fest, „und das liegt auch an den vielen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in den Verwaltungen.“ Als Stabilisatoren leisteten sie zuverlässig, gewissenhaft, verantwortungsvoll, unaufgeregt und geräuschlos ihren Dienst. „Unsere Staatsbediensteten sind eine verlässliche Bank“, so der Staatssekretär. Allerdings müsse sich der öffentliche Dienst ständig weiterentwickeln. Es gelte, sich im Sinne einer funktionierenden Zusammenarbeit stärker als zuvor zu vernetzen: „Vertikal wie horizontal. Zwischen den Fachbehörden des Bundes genauso wie zwischen allen drei Ebenen von Bund, Ländern und Kommunen. Quasi eine ‚Verwaltung 2020‘.“ Besonderes Augenmerk müsse auf die Digitalisierung gelegt werden. „Da sind wir in Deutschland längst nicht da, wo wir sein wollen“, stellte Engelke klar. Als wegweisendes Beispiel nannte er das gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen auf den Weg gebrachte Bürgerportal, auf dem alle Verwaltungsleistungen zentral elektronisch abrufbar sein sollen.

Eine weitere wichtige Aufgabe ist aus Sicht des Bundesinnenministeriums die Nachwuchs- und Fachkräftegewinnung für den öffentlichen Dienst. „Die Bezahlung muss stimmen“, und damit werde man sich in der im März startenden Tarifrunde für die Beschäftigten von Bund und Kommunen befassen. Bundesinnenminister de Maizière werde sich dort wieder für die Übertragung des Verhandlungsergebnisses auf die Beamtenbesoldung einsetzen, sagte Engelke. Gleichzeitig plädiere man für Kreativität bei der Personal- und Wissensgewinnung: Denkbar seien etwa finanzielle Studienförderungen, verbunden mit studienbegleitenden Praktika in der jeweiligen Behörde und der Verpflichtung, nach dem Studium einige Jahre in dieser Behörde zu arbeiten.

Mit Blick auf die Sondierungsgespräche für eine Koalition von CDU/CSU und SPD auf Bundesebene gibt es aus dem Bundesinnenministerium eine klare Absage für Forderungen nach einer Einheitsversicherung im Gesundheitswesen, der auch die Beamtinnen und Beamten angehören sollen. „Wer dies fordert, verwechselt Einheitlichkeit mit Gerechtigkeit“, unterstrich Staatssekretär Engelke. Da die Beihilfe ein integraler Bestandteil des Beamtenverhältnisses sei, stelle sich zudem die Frage nach der Verfassungsfestigkeit einer solchen Einheitsversicherung.

In seinem Vortrag über die Anforderungen an eine smarte und sichere digitale Gesellschaft betonte der Präsident des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) Arne Schönborn, dass Informations- und Cyber-Sicherheit eine unverzichtbare Voraussetzung für das Gelingen der Digitalisierung in Deutschland sei. Digitalisierung bedeute mehr Möglichkeiten, „auf die Deutschland nicht verzichten kann und soll“, aber eben auch mehr Gefahren, „auf die Deutschland vorbereitet sein muss“. Täglich gebe es 280.000 neue Schadprogramm-Varianten, allein auf die Netze des Bundes seien täglich zwischen 2.000 und 3.000 Angriffe zu verzeichnen, darunter drei bis fünf gezielte, berichtete der BSI-Präsident.

In Deutschland bildet die Cyber-Sicherheitsstrategie 2016 den ressort-übergreifenden Rahmen für alle Aktivitäten der Bundesregierung mit Bezug zur Cyber-Sicherheit. Die dafür auf nationaler Ebene zuständige Behörde ist dabei das BSI, das die Informationssicherheit für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft durch Prävention, Detektion und Reaktion gestaltet. „Wir alle gemeinsam tragen die Verantwortung für eine smarte und sichere digitale Gesellschaft“, mahnte Schönbohm. Die IT-Sicherheit müsse als integraler Bestandteil von Produkten etabliert und bewährte Standards erhalten und gestärkt werden. Zugleich gelte es, die gesetzlichen Grundlagen an die Bedrohungslage anzupassen und den digitalen Selbstschutz zu fördern. „Der Staat ist nicht wehrlos gegenüber Cyber-Kriminalität“, stellte Schönbohm klar. Man müsse ihn allerdings mit den entsprechenden Ressourcen ausstatten und länderübergreifende Vernetzung ermöglichen und ausbauen, um handlungsfähig zu bleiben.

Im Rahmen einer abwechslungsreichen und sehr unterhaltenden Podiumsdiskussion äußerten der Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion Christian Lindner und der Oberbürgermeister von Tübingen Boris Palmer (Grüne) im Bereich der Gesundheitspolitik überraschend übereinstimmend ihre Ablehnung der Bürgerversicherung. „Nach meiner Ansicht wird das Thema von allen Seiten viel zu ideologisch diskutiert“, sagte Palmer. „Wenn wir ein komplett neues Gesundheitssystem aufbauen müssten, wäre ich für die Bürgerversicherung. Jetzt denke ich, dass die Kosten zur Umstellung der Systeme viel zu hoch sein würden. Wir sollten vielmehr andere Stellschrauben nutzen, um mehr Gerechtigkeit im Gesundheitssystem herzustellen.“ Lindner betonte, dass das Gesundheitssystem mit der Einführung einer Bürgerversicherung für alle Menschen schlechter würde. „Ohne Private Krankenversicherung würde das gesamte System kippen, weil sie eine enorme Quersubventionierung für die Gesetzliche Krankenversicherung darstellt. Ohne sie müssten tausende Arztpraxen schließen.“

Ein weiterer Themenschwerpunkt der Diskussion war der Fachkräftemangel, insbesondere im öffentlichen Dienst. Auf die Frage von Moderatorin Dunja Hayali, ob die Einsparungen in der Verwaltung in den vergangenen Jahren richtig gewesen seien, plädierte Lindner für eine differenzierte Betrachtung. Die Lage im Sicherheitsbereich habe sich etwa in dieser Zeit verschlechtert. Außerdem gebe es nicht „den einen öffentlichen Dienst“. Daher halte er es heute beispielsweise für falsch, bei der Polizei oder im Bildungsbereich bei den Lehrkräften zu sparen. Im Bereich der allgemeinen Verwaltung könnten hingegen durch die Digitalisierung zukünftig Aufgaben wegfallen. Zurzeit sei es aber wichtig, dass der öffentliche Dienst im ohnehin zugespitzten Arbeitsmarkt seine Attraktivität behalte und stärke. Stadtverwaltungschef Palmer bemängelte, dass der öffentliche Dienst seit Jahren nicht genug ausbilde, um den eigenen Bedarf zu decken. Daher sei der derzeitige Mangel zum Teil hausgemacht. „Das Ansehen des öffentlichen Dienstes ist aber grundsätzlich immer noch gut genug, um ausreichend Bewerber anzuziehen“, zeigte sich Palmer überzeugt.

Weitere Redner und Diskutanten der dbb Jahrestagung waren Lutz Lienenkämper (Finanzminister von Nordrhein-Westfalen (NRW), Ulli Meyer (Finanzstaatssekretär des Saarlands), Christoph Verenkotte (Präsident des Bundesverwaltungsamtes) sowie Uwe Lübking (Beigeordneter des Deutschen Städte- und Gemeindebundes).

Die Vorsitzenden des VRB zeigten sich äußerst zufrieden mit dem Tagungsverlauf und sahen sich bestätigt, die Themen „Digitalisierung in der Justiz“ und „Nachwuchsgewinnung“ in den Fokus der VRB-Verbandsarbeit gestellt zu haben. „Mit der Einführung der elektronischen Akte und des elektronischen Rechtsverkehrs steht die Justiz vor einem grundlegenden Umbruch, der sich nachhaltig auf nahezu alle Arbeitsbedingungen und alle Berufsgruppen innerhalb der Justiz auswirken wird“, erläuterte der Vorsitzende Matthias Stolp. Die digitale Transformation führe zu vielfältigen – sowohl technischen als auch organisatorischen – Veränderungsprozessen in den Gerichten und Behörden. Die Entwicklung neuer Verfahrensabläufe, kürzere Technologiezyklen und die Digitalisierung analoger Prozesse seien nur einige der Herausforderungen, denen sich die Justiz gegenüber sehe. „Um diese erfolgreich zu bewältigen, müssen die Bediensteten auf dem Weg mitgenommen werden. Nur Transparenz, eine gute Informationspolitik und entsprechende Schulungen können Hemmnisse und Vorbehalte abbauen“, hob Stolp erneut hervor.

Angesichts des demografischen Wandels in der Gesellschaft ist das Thema „Nachwuchsgewinnung“ ebenso von großer Bedeutung. „Es geht darum, auf einem immer stärker umkämpften Arbeitsmarkt geeigneten Nachwuchs für den Beruf des Rechtspflegers zu gewinnen. Besoldung, Arbeitsbedingungen und Entwicklungsperspektiven sind dabei entscheidende Faktoren. Es liegt an uns, Veränderungen anzugehen“, machte die Vorsitzende Diana Böttger deutlich. Gemeinsam mit den Vertretern des Bundes Deutscher Rechtspfleger (BDR) und mit andern dbb-Fachgewerkschaften diskutierte sie dazu Lösungsansätze.

Beide VRB-Vorsitzende dankten dem dbb Bundesvorsitzenden Ulrich Silberbach für die interessante und informative Tagung und sicherten ihm ihre Unterstützung bei den anstehenden Aufgaben zu.

Alle Berichte, Videos und Bilder zur Jahrestagung finden Sie unter www.dbb.de/jahrestagung.

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