Russ betonte, für das Gesetz gebe es keine praktische Notwendigkeit, es habe zudem auch schwere juristische Schwachstellen. Erst vergangene Woche hätten die Wirtschaftsweisen darauf hingewiesen, dass das Gesetz einen schwer zu rechtfertigenden Eingriff in den Wettbewerb zwischen Arbeitnehmervertretungen darstelle. Da man mittlerweile diesen Eingriff an manchen Tariftischen ganz praktisch zu spüren bekomme, so Russ, habe der dbb seine Verfassungsbeschwerde in Zusammenarbeit mit dem Rechtswissenschaftler Wolfgang Däubler konkretisiert und nun nach Karlsruhe geschickt.
Das Tarifeinheitsgesetz sieht vor, dass bei kollidierenden Tarifverträgen in einem Betrieb nur die Rechtsnormen des Tarifvertrags derjenigen Gewerkschaft anwendbar sind, die zum Zeitpunkt des Abschlusses des zuletzt abgeschlossenen Tarifvertrags im Betrieb die meisten Mitglieder hat.
Das Gesetz wurde von Beginn der Planungen an vom dbb und seinen Fachgewerkschaften gemeinsam mit zahlreichen weiteren Berufsvertretungen wie der Ärztegewerkschaft Marburger Bund, dem Deutschen Journalisten-Verband und der Pilotenvereinigung Cockpit scharf als verfassungswidriger Eingriff in das Grundrecht der Koalitionsfreiheit kritisiert und ist mittlerweile Gegenstand mehrerer Verfassungsbeschwerden, darunter unter anderem die der dbb-Mitgliedsgewerkschaft GDL (Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer) und nunmehr auch die des dbb. Auch namhafte Verfassungsrechtler und selbst der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hatten das Gesetz während des Gesetzgebungsverfahrens als verfassungswidrigen Grundrechtseingriff bezeichnet.
„Der dbb lehnt jede gesetzliche Regelung von Tarifeinheit grundsätzlich ab“, machte der dbb Bundesvorsitzende Klaus Dauderstädt bei der Anhörung zum TEG im Bundestags-Ausschuss für Arbeit und Soziales am 4. Mai 2015 in Berlin deutlich, das Gesetz „ist verfassungsrechtlich bedenklich, gesellschaftspolitisch nachteilig und handwerklich problematisch. Ausgehend von der schwerwiegenden und in keiner Weise annehmbaren Einschränkung von Grundrechten geht der dbb davon aus, dass das Gesetzesvorhaben nachhaltigen Schaden in der bundesdeutschen Gewerkschaftslandschaft anrichtet, der nicht ohne Folgen für die Gesamtstärke der bundesdeutschen Gewerkschaftbewegung bleiben wird und über eine Zerrüttung des Betriebsfriedens in unzähligen Fällen auch für die Arbeitgeber von nachteiliger Wirkung sein wird“, warnte Dauderstädt.
Im Oktober lehnte das Verfassungsgericht Eilanträge von drei Spartengewerkschaften gegen das Tarifeinheitsgesetz ab, betonte aber gleichzeitig, dass das Ergebnis im Hauptverfahren über die Verfassungsbeschwerden völlig offen sei. Die Verfassungsrichter behielten sich zudem ausdrücklich vor, bei einer erheblichen Änderung der Tariflandschaft doch noch eine einstweilige Anordnung gegen das TEG zu erlassen, bevor eine Entscheidung im Hauptverfahren fällt. Für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit hat sich Karlsruhe einen konkreten Zeitrahmen gesetzt: Bis Ende 2016 soll ein Urteil gesprochen sein.
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