Dauderstädt verwies auf die wachsende Bedeutung der Pflege auf Grund des demografischen Wandels und die daraus erwachsenden Aufgaben für die Gewerkschaften: „Wir sehen uns gefordert, in Tarifverträgen wie Gesetzen neben der Vereinbarkeit von Familie und Beruf auch die von Beruf und Pflege zu verankern.“ Um der Neudefinition des Pflegebedürftigkeitsbegriffs und den Änderung des Begutachtungsverfahrens tatsächlich gerecht werden zu können, müsse die dafür notwendige Finanzausstattung weiter verbessert werden. Die ab 2017 greifende Beitragserhöhung zur Pflegversicherung um 0,2 Prozentpunkte gebe keine Garantie, wie nachhaltig das sein werde.
Der Vorsitzende der dbb bundesseniorenvertretung, Wolfgang Speck, hatte zuvor in seiner Begrüßungsrede darauf hingewiesen, dass Betroffene völlig zu Recht erwarten, dass ihre gesundheitlichen Beeinträchtigungen angemessen bewertet und bei der Pflege berücksichtigt werden. Der erste Schritt dorthin sei die zutreffende Feststellung einer Pflegestufe – zukünftig eines Pflegegrades. „Das Letzte, was eine pflegebedürftige Person und ihre Angehörigen brauchen können, ist ein Ergebnis, das zur Führung eines Widerspruch- oder gar Klageverfahrens zwingt“, sagte Speck.
Hintergrund
Am 12. August 2015 hatte das Bundeskabinett den Entwurf des Zweiten Pflegestärkungsgesetzes (PSG II) beschlossen. Kernstück des Entwurfs ist die gesetzlich verbindliche Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs. Im Mittelpunkt steht künftig der tatsächliche Unterstützungsbedarf – unabhängig davon, ob jemand an einer geistigen oder körperlichen Einschränkung leidet.
In diesem Zusammenhang soll das bestehende System der drei Pflegestufen in ein neues System mit fünf Pflegegraden umgewandelt werden. Für die Beurteilung der Pflegebedürftigkeit und die Einstufung in die neuen Pflegegrade wird ein "Neues Begutachtungsassessment" (NBA) eingeführt. Hierbei ist künftig der Grad der Selbständigkeit des Pflegebedürftigen ausschlaggebend – Pflegebedürftigkeit orientiert sich nicht mehr nur verrichtungsbezogen; es werden kognitive und kommunikative Fähigkeiten, Verhaltensweisen bei psychischen Problemlagen sowie die Gestaltung des Alltagslebens in die Bewertung mit einbezogen. Damit können dann besonders von Demenz betroffene Menschen, die aufgrund ihrer kognitiven Defizite zwar hilfebedürftig sind, nach bisherigem Recht durch ihre Mobilität mitunter nicht (oder nur eingeschränkt) zum Kreis der Anspruchsberechtigten zählen, davon profitieren.
Unter dem Motto „Pflegestärkungsgesetz II – Was lange währt, wird wirklich gut?“ gingen Experten aus Politik, Wissenschaft und Praxis der Frage nach, ob und inwieweit die neuen gesetzlichen Regelungen zu tatsächlichen Verbesserungen für Pflegebedürftige, Pflegeeinrichtungen und insbesondere auch für pflegende Angehörige führen werden.
Alle Pflegebedürftigen, die bisher Leistungen der Pflegeversicherung erhalten, werden ohne erneute Begutachtung in das neue System übergeleitet. Sie müssen damit keinen Antrag auf Einstufung in einen Pflegegrad stellen. Bei der Umstellung auf das neue System sollen umfassende Überleitungs- und Bestandsschutzregelungen eine Benachteiligung der bisherigen 2,8 Millionen Pflegebedürftigen verhindern.
Der Beitragssatz der Pflegeversicherung wird um 0,2 Beitragssatzpunkte ab 2017 erhöht. Er beträgt dann 2,55 Prozent des Bruttoeinkommens für Versicherte mit Kindern. Kinderlose zahlen wie bisher 0,25 Prozent mehr, also 2,8 Prozent.
Der Bundestag beriet am 25. September 2015 den Gesetzentwurf in erster Lesung. Das Gesetz soll am 1. Januar 2016 in Kraft treten. Das neue Begutachtungsverfahren und die Umstellung der Leistungsbeträge der Pflegeversicherung sollen zum 1. Januar 2017 wirksam werden.
Der Seniorenvertreter des VRB, Heinrich Hellstab, begrüßte die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und forderte eine sorgfältige Umsetzung. „Der Gesetzgeber muss darauf achten, dass er den Übergang von Pflegestufen zu Pflegegraden für die Versicherten rechtssicher ausgestaltet, indem er insbesondere ein klares Verfahren und unbefristete Bestandsschutzregelungen festgelegt. Auch darf die Gleichstellung von Pflegebedürftigen nicht zur Schlechterstellung von körperlich Beeinträchtigten führen. Gleichzeitig sollte die Pflegereform auch dazu genutzt werden, die Pflege zu entbürokratisieren. Für viele Versicherte ist heute unklar, welche Leistungen sie beanspruchen können und welche nicht. Hier schafft Entbürokratisierung Klarheit“, so Hellstab.
Pressemitteilung des Bundesministeriums für Gesundheit zum PSG II vom 12.08.2015 (PDF)
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Bild dbb SPEZIAL zum Coronavirus: Christian Daum / pixelio.de