Standortvorteil „öffentlicher Glaube“ in Gefahr!

BDRhauptstadtForum
Foto: VRB
Die Teilnehmer der Podiumsdiskussion: Wolfgang Lämmer, Dr. Peter Huttenlocher, Dr. Christian Strasser, Otto Fricke.
Das Vertrauen in die Richtigkeit von Grundbuch- und Registereintragungen, die insbesondere durch die sorgfältige und qualifizierte Prüfung des Rechtspflegers gewährleistet wird, stellt einen Standortvorteil für die deutsche Wirtschaft dar. Doch dieser „öffentliche Glaube“ scheint in Gefahr! So die Befürchtung des Bundes Deutscher Rechtspfleger (BDR), der dies deswegen zum Thema des dritten BDRhauptstadtForums am 23. April 2015 in Berlin machte.

Der BDR konnte dazu in der Vertretung des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund Gäste aus der Politik, der Bundes- und Landesjustiz, den Justizgewerkschaften und -verbänden sowie Rechtspflegerinnen und Rechtspfleger aus der gesamten Bundesrepublik begrüßen. Für den VRB nahmen die Geschäftsführerin Diana Böttger sowie die weiteren Vorstandsmitglieder Katja Maßenberg und Kai-Uwe Menge teil.

Unter der Moderation von Rechtsanwalt Dr. Christian Strasser, München, diskutierten Dr. Peter Huttenlocher, Hauptgeschäftsführer der Bundesnotarkammer, Otto Fricke, ehemaliger parlamentarischer Geschäftsführer der FDP, und Wolfgang Lämmer, Bundesvorsitzender des BDR.

„Der öffentliche Glaube wird in der Wirtschaft von vielen Unternehmen als Standortvorteil wahrgenommen“, betonte Wolfgang Lämmer. „Die damit verbundene Rechtssicherheit ist wichtig für stabile wirtschaftliche Verhältnisse“. Unternehmen würden die hieraus resultierende Sicherheit höher bewerten als preiswertere und schnellere Eintragungsverfahren, bei denen am Ende allerdings die Richtigkeit der Eintragungen nicht in demselben Maße gewährleistet sei.

Otto Fricke betrachtete dies differenzierter und berichtete aus seiner Tätigkeit in einer internationalen Unternehmensberatung für strategische Kommunikation, dass etablierte Unternehmen zwar oft die Sicherheit eines Systems höher werteten als dessen Praktikabilität oder die Dauer eines Eintragungsverfahrens und dessen Kosten, Start-up-Unternehmen die Komplexität und die Anforderungen eines deutschen Eintragungsverfahrens mitunter hingegen als abschreckend empfänden. „Auch Innovation und Geschwindigkeit sind für Investitionen wichtig“, so Fricke.

Die Sicherung der materiellen Rechtslage ist ein Transaktionsvorteil, den die Wirtschaft sehr schätze, bestärkte Dr. Peter Huttenlocher den Vorsitzenden des BDR. Seiner Ansicht nach sei Deutschland bei Innovationen keinesfalls abgehängt. „Größtmögliche Sicherheit ist wertvoll und wir wären gut beraten, bewährte Strukturen nicht wegzuwerfen“, so der Hauptgeschäftsführer der Bundesnotarkammer. Als Negativbeispiel verwies er in diesem Zusammenhang auf das companies house in Großbritannien, wo in einem Disclaimer darauf hingewiesen werde, dass man quasi für die Richtigkeit der Eintragungen und Informationen keine Verantwortung übernehmen könne.

„Der Antagonismus zwischen ‚Spirit‘ und ,Innovationskraft‘ einerseits und ,Sicherheit‘ sowie ,Konservatismus‘ andererseits wird sich auch in Zukunft nicht so leicht auflösen lassen und man sollte sich davor hüten zu sagen, etwas sei besser, nur weil es schneller ist“, stellte Dr. Huttenlocher klar. Es könne letztlich nicht so entscheidungserheblich, sein ob beispielsweise eine Firma im Register binnen 24 oder 48 Stunden oder gar vier Tagen eingetragen werde, zumal eine Firmengründung weitaus mehr Voraussetzungen erfordere und aus diesem Grund insgesamt ohnehin durchschnittlich ca. drei bis sechs Wochen dauere. Wolfgang Lämmer wies in diesem Zusammenhang darauf hin, dass gerade Eintragungen in den deutschen Handelsregistern sehr häufig noch am Tag des Eingangs der Anmeldung vollzogen würden, sofern keine Mängel bestünden.

Kritisch äußerten sich die Diskussionsteilnehmer zur beabsichtigten Vereinheitlichung der unterschiedlichen Grundbuchsysteme innerhalb der Europäischen Union. Es bestehe die berechtigte Befürchtung, dass die vorhandenen Standards in Gefahr geraten könnten, wenn lediglich der kleinste gemeinsame Nenner für alle europäischen Länder gesucht würde und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Rechtssysteme der öffentliche Glaube nicht mehr Grundlage bliebe. Die Eintragungen könnten als Selbstregistratur oder von Privatfirmen vorgenommen werden, eine Verlässlichkeit auf die Richtigkeit der Eintragungen wäre dann nicht mehr garantiert.

Wolfgang Lämmer will sich deswegen zur Wahrung der deutschen Interessen auch weiterhin mit der European Land Registry Association (ELRA) auseinandersetzen. „Es ist das Bestreben des BDR, das deutsche Erfolgsmodell auch in andere europäische Länder zu exportieren. Der öffentliche Glaube ist für mich jedenfalls nicht verhandelbar“, unterstrich Lämmer.

Die Opferung deutscher Standards stelle aus Sicht von Dr. Huttenlocher letztendlich eine wirtschaftsfeindliche Entwicklung dar. Einem Rückzug aus der Rechtsvorsorge erteilte er daher eine klare Absage. „Eine Vereinheitlichung des Rechts ist ein Ziel, aber nicht um jeden Preis. Auch Partikularlösungen haben Vorteile“, erklärte er. Dr. Huttenlocher verwies auf die USA, wo sich in den einzelnen Bundesstaaten zum Teil sehr verschiedene Systeme etabliert hätten, ohne dass sich dies für die Vereinigten Staaten als Ganzes bislang als enormer Standortnachteil erwiesen habe.

Zum Abschluss wagten die Diskutanten einen Blick in die Zukunft: Auf die Frage, ob es in zehn Jahren den öffentlichen Glauben noch geben werde, hielt Otto Fricke einen europäischen Mittelweg für wahrscheinlich. Bei einem Kompromiss müsse Deutschland wohl Abstriche hinnehmen. Dr. Peter Huttenlocher glaubte, dass vor dem Hintergrund der „bekanntlich langsam mahlenden Mühlen der Politik“ der öffentliche Glaube bis dahin noch nicht preisgegeben sein werde. Wolfgang Lämmer wies schließlich darauf hin, dass seine Aussage, der öffentliche Glaube sei nicht verhandelbar, nicht zugleich bedeute, dass man nicht zumindest über Rahmenbedingungen verhandeln könne. „Man muss bemüht sein, bei der Ausgestaltung des deutschen Systems genügend Anreize zu bilden, die andere Länder animieren, dieses System übernehmen zu wollen“, so Lämmer.

Als Ergebnis einer kurzweiligen Diskussionsrunde bleibt festzuhalten, dass der Wettbewerb der unterschiedlichen Rechtssysteme sachlich und kritisch begleitet werden muss. Dann ist auch der öffentliche Glaube nicht in Gefahr.

Auch das diesjährige BDRhauptstadtFORUM bewies sich als sehr interessante Veranstaltung zu einem aktuellen justizpolitischen Thema. Der anschließende Stehempfang lud zu einem regen Austausch der Gäste mit den Diskussionsteilnehmern ein. Es bestand Einigkeit, dass das Format das Potenzial hat, sich zu einer dauerhaften und bedeutsamen Einrichtung zu etablieren.

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